"CoupÉ DÉcalÉ – die Musik einer neuen Generation
zwischen Luxus und LÜge"

Georg Milz

Coupé-Decalé ist die zur Zeit wahrscheinlich populärste Musik im francophonen Afrika. 2002 ist sie aus einem Tanz in den afrikanischen Nachtklubs von Paris entstanden, der ein Symbol für eine Lebensstrategie der afrikanischer Einwanderer in der Diaspora ist. Dabei macht die rechte Hand zuerst einen Schnitt in die Luft: Couper, französisch für scheiden. Im Jargon der Jugend von Abidjan, dem Nouchi, bedeutet das soviel wie: ergaunern oder wegnehmen. Danach kommt im Tanz ein Schritt zurück, die Hände gehen in die Höhe und imitieren die Flügel eines Flugzeugs: Décaler, französisch für: verschieben oder versetzen. Gemeint ist, sich samt der Beute aus dem Staub zu machen, am besten zurück in die Heimat nach Abidjan. Dort angekommen widmet man sich dem Ausgeben des Geldes für teure Luxusgegenstände, Designerklamotten, teure Getränke, Zigarren und dem Verteilen von Geld auf Partys, das Travailler genannt wird

Die hedonistische Lebensfreude des Travailler konnte auch schon mal groteske Formen annehmen. Am 17. April 2004 gab der Anführer Gruppe La Jet Set und als Gründungsvater des Coupé-Décalé geltende Douk Saga durch das Radio zu verstehen, er würde umgerechnet ungefähr 3000 € bei seinem nächtlichen Konzert im Club de la Culture unter den Zuschauern verteilen. Als er am Abend mit einem Geldkoffer in der Hand, in Szene gesetzt von einem Scheinwerfer, auf einem Motorboot zum Ufer des an der Lagune gelegenen Club übersetzte, hatten sich bereits unzählige Leute versammelt. Als er den Club betrat gab es plötzlich einen Stromausfall; Als das Licht wieder funktionierte, sahen sich Gäste wie Angestellte gleichermaßen der Frage ausgesetzt, wo der Koffer mit dem Geld hingekommen war...

In diesem Vortrag möchte ich mich unter anderem auf die Suche nach dem Koffer von Douk Saga begeben. Ich werde zuerst auf die Entstehung von populärer Musik in der Côte d'Ivoire sowie auf die musikalischen Aspekte eingehen, auf denen Coupé-Décalé gründet. Anschließend sollen Musik und Tänze und die Musik behandelt werden. Im dritten Teil werde ich die Schritte Couper, Décaler und Travailler einzeln untersuchen und die sozialen Aspekte und Bedeutungen beleuchten, die beim Coupé-Décalé mitschwingen.

Abidjan – Die Perle an der Lagune

Nach der Unabhängigkeit der Côte d'Ivoire 1960 blühte die Wirtschaft des Landes auf. Houphouët-Boigny, der erste Präsident und “Père de la Nation” hatte die Bänder zu der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich nicht ganz gekappt und die Côte d'Ivoire wurde somit zu einem Musterbeispiel für den Kapitalismus in Westafrika. Durch die politische Stabilität und relative Gewaltlosigkeit wurde das Land, das in den Gründerjahren der 60-er und 70-er Jahre einen Wirtschaftsboom erlebte, auch kulturell zum Dreh- und Angelpunkt. Musiker aus ganz Westafrika strömten nach Abidjan um dort Konzerte zu spielen und ein Album in den modernen Tonstudios aufnehmen zu lassen. Auch internationale Plattenfirmen kamen ins Land, bauten Tonstudios, Produktionsmanufakturen und etablierten Vertriebsnetzwerke für die Musik. Die modernen Aufnahme-Studios und Plattenfirmen aus Europa wirkten wie ein Magnet auf viele Musiker in West- und Zentral-Afrika. Abidjan wurde zum Herzen der Musikindustrie und war für viele Musiker der erste Schritt auch zu einer internationalen Karriere. Künstler wie Salif Keita, Mory Kanté, Manu Dibango oder Amadou & Mariam kamen aus Mali, Kamerun oder dem Kongo angereist, gaben Konzerte und nahmen anschließend ein Album auf. Neben musikalischen Einflüssen aus dem Kongo, dem Highlife aus Ghana oder dem Afrobeat aus Nigeria entstand in den 70er Jahren aus traditionellen Rhythmen der Bété die erste ivorische Popmusik Ziglibity. Es war ein erster Schritt der dominierenden kongolesischen Popmusik in der Côte d'Ivoire etwas eigenes entgegen zu setzen. Vereinzelt lassen sich auch noch heute Einflüsse im Coupé-Décalé finden.

Krise und Zouglou

Anfang der 80er Jahre sanken die Weltmarktpreise für Kakao und Kaffee, der beiden wichtigsten Exportgüter und Standbeine der ivorischen Wirtschaft. Die einsetzende Rezession traf zuerst die ländliche Bevölkerung und im Verlauf der 90er auch immer mehr die Bewohner der Städte. Das einstige Wirtschaftswunder entpuppte sich als Blase. Die Krise machte das städtische Leben, das immer als modern und fortschrittlich galt, immer mehr zum Privileg einer kleinen Elite. Nach dem Tod Houphouët-Boigny 1993, der das Land mehr und mehr in den Ruin gewirtschaftet hatte, begannen Studenten auf die Straße zu gehen und für soziale und politische Gleichstellung zu kämpfen.

Im Zouglou spiegelte sich die Frustration über die Perspektivlosigkeit musikalisch wider. Zouglou entstand unter den Studenten in Yopougon, einem Stadtteil von Abidjan, in dem sich die Studentenwohnheime befanden. Hier mussten sie sich oft kleine Zimmer zu fünfzehnt teilen. „Be ti le zouglou“ ist Baoulé und bedeutet soviel wie: „gestapelt wie auf einem Müllhaufen“ - es beschreibt, wie sich sie sich gefühlt haben müssen.

Nach der Ära Houphouët-Boigny setzte ein Ringen um die Macht im Land ein. Der Machtkampf brachte Hass und Gewalt hervor, welche sich vermehrt gegen die Migranten aus anderen Ländern richtete. Die Staatsideologie der Ivoirté gab den „echten“ Ivorern bestimmte staatsbürgerliche Vorrechte gegenüber anderen ethnischen Gruppen und war vor allem ein Instrument politische Gegner auszuschalten. Es gab Zouglou-Sänger, die sich in ihrer Musik kritisch dazu äußerten, aber es gab auch patriotischen Zouglou. Da es sich aber, wie im Reggae, der in den 80ern aus Jamaika ins Land kam, um Protestmusik handelte, war sie den Führenden oft ein Dorn im Auge. Vieler Bewohner Abidjans verließen gegen Ende der 90er Jahre wegen der sich politisch zuspitzenden Lage das Land und gingen ins Exil. Darunter auch Reggae-, Zouglou- sowie spätere Coupé-Décalé-Künstler.

Coupé-Décalé - La Jet Set

Coupé Decalé ist Anfang 2002 in den Nachtklubs von Paris entstanden. Angehörige der Mittelschicht, die sich die Reise nach Europa leisten konnten oder das Geld für ein Ticket kollektiv zusammengeliehen hatten, tauchten in den afrikanischen Nachtklubs in Paris auf und begannen sich durch ihr spendables Verhalten und ihr extravagantes Outfit einen Namen zu machen. Sie schmissen Runden im Club und begannen Geld unter den Gästen zu verteilen. Am Anfang stand nicht so sehr die Musik im Vordergrund, wie beispielsweise beim Auftritt der Gruppe Jet Set, wie sich die Gruppe von Freunden um ihren Anführer Douk Saga nannte. Während er Geldscheine unter die Leute verteilte, lobte ihn der Atalaku, eine Mischung aus afrikanischem Preissänger und Party-Animateur, über das Mikrofon. Als Dank führte er seinen ganz persönlichen Tanz vor, den Coupé Décalé. Erst später entwickelte er unter der Mitwirkung der DJs und der Gruppe Jet Set seine eigene Musik, die erst nach der Popularisierung in Abidjan Coupé Décalé genannt wurde.

Die Tänze sind im Coupé Décalé das zentrale Element geblieben. Jeder neue Song ist auch an einen Tanz gekoppelt. Das Gesamtpaket wird concept gennant. Mittlerweile gibt es weit über hundert dieser concepts. Wöchentlich kommen neue dazu. Zu den bekanntesten gehören Coupé Décalé, Petit Velo, Kpanpor, Coupé Décalé Chinois, Bobaraba, Équilibré, La Mastiboulance, Drogbacité. Beim Petit Vélo imitieren die Beine die Bewegungen eines Fahrrads. Die Drogbacité wird von der ivorischen Fussball-Nationalmannschaft aufgeführt, wenn sie ein Tor geschossen haben. Es gibt sogar einen Tanz der sich Décalé Allemand nennt… Beeindruckend ist die schnelle Verbreitung der Tänze unter der Bevölkerung und die Reaktionsfähigkeit auf aktuelle Ereignisse, die in die Tänze mit eingewoben sein können. DJ Lewis bekam zum Beispiel vom Agrarminister der Côte d'Ivoire persönlich einen Orden überreicht: Sein Album „Stop grippe aviaire“ hätte die Bauern auf die drohende Pandemie aufmerksam gemacht. Der Tanz Grippe Aviaire besteht darazs, wie bei einem Fieberschub auf dem Boden liegend herumzuzappeln.

Die Tänze können auch politische Themen miteinbeziehen. So werden beispielweise beim Tanz zu dem Song Guantanamo von DJ Zidane, die Hände abwechselnd vor und hinter dem Rücken zusammengehalten - als ob sie mit Handschellen gefesselt wären.

Als die Gruppe Jet Set 2003 zurück nach Abidjan zog, war das Land faktisch in zwei Teile zerbrochen. Die Armee hatte im September des Vorjahres rebelliert und die Macht im Land an sich zu reißen versucht. Der Konflikt spitzte sich zu, und das Land geriet an die Grenze eines Bürgerkriegs. Auch wenn der Konflikt die Stadt Abidjan betraf, hat er sich nicht negativ auf die Popularität von Coupé Décalé ausgewirkt. Die Leute suchten nach Ablenkung und haben sich während den nächtlichen Ausgangssperren in den Maquis, den Bars auf der Rue Princess eingesperrt und zu Coupé Décalé die Nacht durchgetanzt.

Die Musik Coupé Décalé ist aus den Beats entstanden, die die ivorischen DJs in den Clubs aufgelegt haben. Darunter waren viele Rhythmen kongolesischer Popmusik wie Soukous, die es in den 60er Jahren zu beinahe panafrikanischer Beliebtheit schaffte. Coupé Décalé, genau wie Ziglibithy oder Zouglou, kann auch als eine Art Gegenentwurf gegen die Dominanz kongolesischer Popmusik verstanden werden; Dabei sind natürlich viele kongolesische Elemente neu interpretiert worden und mit eingeflossen.

Zum Beispiel handelt es sich beim Atalaku ursprünglich um ein Element kongolesischer Popmusik. Wie man das auch aus dem Dancehall kennt, streut der Atalaku Namen ein und fordert die Leute zum Tanzen auf. Er begrüßt die Leute, die auf die Partys kommen; In der Interaktion zwischen dem Atalaku und dem Gast kann der Gast seinen Status zelebrieren. Wenn Douk Saga im Club aufgekreuzt ist, hat der Atalaku ihn meist bereits schon im Voraus angekündigt und große Dinge verlauten lassen: Zum Beispiel, dass er das letzte mal 500 Euro im Club gelassen habe oder die neusten Lacklederschuhe von Weston trägt, von denen das Paar 3000 € kostet, draußen sein Mercedes Cabriolet geparkt hat und so weiter. Wenn er dann den Club betrat, haben ihn die Leute jubelnd empfangen. Er hat die Aufmerksamkeit genutzt, um seinen Tanz aufzuführen und Geld zu verteilen - nicht nur an die DJs und den Atalakus, sondern auch an andere Besucher des Clubs.

Couper – Die goldene Schere

Über die Herkunft des Geldes der Gruppe Jet Set wurde viel spekuliert. Immer wieder wurden Vermutungen geäußert, dass sie über Betrug an das Geld gekommen wären. Gängige Methoden der Brouteurs, wie Betrüger in Abidjan genannt werden, sind zum Beispiel gefälschte NGO's, über die Spendengelder akquiriert werden oder der Cyber-Betrug, der in Nigeria unter dem Namen 419, der Paragraph im nigerianischen Gesetzbuch für “Advanced Fee Fraud” geläufig ist. Gemeint ist, das massenweise Verschicken von Emails, bei denen dem Empfänger Millionenbeträge angeboten werden. Antwortet er, stellen sich immer wieder kleine Probleme in den Weg, die durch das Vorschießen von kleinen Beträgen sich scheinbar beheben ließen. Im Umfeld der Coupé-Décalé-Künstler ist auch häufig von Scheckkartenbetrug die Rede; Dabei soll ein Mittelsmann bei der Post zuerst die Scheckkarte und etwas später die Geheimzahl aus der Post gezogen haben… so sollen dann die Konten leer gemacht worden sein. Ein anderes Gerücht besagt, dass es einem gelungen sein soll, den Nationalpark Abidjans Forêt du Banco an einen Scheich zu verkaufen. Gerade im Umfeld der afrikanischer Musiker ist aber auch häufig vom Handel mit Visa die Rede, da es für sie meist noch verhältnismäßig einfach ist an ein Visum für Europa zu gelangen.

Bekanntestes Beispiel ist der selbsternannte König der Sapeure und Vater des kongolesischen Rumbas Papa Wemba. 2002 wurde er von der Polizei in seiner Wohnung in Paris aufgegriffen. Zuvor hatte man am Flughafen Charles de Gaulle 127 Leute festgesetzt, die bei der der Einreise nach Frankreich angegeben hatten zu seinen Musikern zu gehören. Da es aber so viele waren und keiner von ihnen Instrumente oder ein Bühnenoutfit dabei hatte, wurde man misstrauisch und setzte sie vorläufig fest. Später verkündete die Polizei, dass es sich bei den vorläufig festgesetzten um Fischer und Ziegenhirten aus dem Kongo gehandelt habe. Auch Drogengeschäfte werden immer wieder vermutet.

Kriminelle Betrügereien waren in Abidjan der 90er Jahre an der Tagesordnung. Zum Großteil handelte es sich dabei um Diebstahldelikte und Hehlerei, beispielsweise von Mobiltelefonen. Die alltägliche Präsenz und Praxis von Betrug spiegelt sich auch in einer Vielzahl von Euphemismen wider: Nouchi, der Straßenjargon, selbst lässt sich mit Bandit übersetzen. Bizness wurde als Synonym für die Tätigkeiten am Rande des Gesetztes verwendet. Das Cover des Debütalbums von Solo Béton, einem Mitglied der Gruppe Jet Set, ist mit einer großen goldenen Schere verziert, als Symbol für “Coupé” und die Gesellschaftsfähigkeit dubioser Geld-beschaffungs-methoden. Coupé wird hier mit dem gutbürgerlichen Beruf und in Abidjan sehr populären Beruf des Schneiders in Zusammenhang gebracht. Coupé wird nicht als unmoralischer Diebstahl gesehen, sondern als etwas, was einem von Seiten der Gesellschaft zusteht. Gerade in der Côte d'Ivoire kann es einem sogar als unmoralisch ausgelegt werden, wenn man seinen Besitz nicht mit Freunden und Verwandten teilt. Couper kann in diesen Fällen eine Intervention sein, die den Zusammenhalt der Gruppe gewährleistet. Zusätzlich kann Couper aber auch die Erfüllung individueller Konsumgelüste ermöglichen, denn wer über das Couper unbemerkt an Geld gekommen ist, kann es auch heimlich ganz alleine für sich konsumieren…

Décaler – Die Inszenierung des Lebens als Jet Set

Zurück in Abidjan ist die Gruppe Jet Set in feinen Anzügen von europäischen Spitzendesignern wie Dior, Dolce & Gabbana, Gucci oder Versace und Krokodil-Lederschuhen auf die Bühne marschiert. Modische Sonnenbrillen gehörten ebenfalls dazu wie dicke Zigarren und Handtaschen von Louis Vuitton. Vereinzelt zogen sie Rollkoffer hinter sich her. Die Koffer waren gefüllt mit einem zweiten Outfit, in das während der Show gewechselt wurde. Vor allem Douk Saga war bekannt dafür für seine Show immer eine Zweitmontur dabei zu haben; erstere warf er ins Publikum. Zwischendrin holten sie Bündel von Geldscheinen aus ihren Hosentaschen, die sie gelegentlich unter dem Publikum verteilten. Es sollte der Eindruck entstehen, als wären sie das neue afrikanische Jet Set, das direkt aus der Business-Lounge des Flughafens auf die Bühne gekommen ist. Doch was war wirklich dran an diesem Bild? Was stand dahinter?

Sie haben mit der Faszination und dem Mythos, den das Leben in Paris bildete, gespielt und mit Musik und den dazugehörigen Videos ihren eigenen Reichtum massenwirksam inszeniert. Doch längst nicht jedem war klar, dass es sich dabei um eine reine Aufführung handelte und die Jet Sets nur Kunstfiguren waren. Der Bluff war Teil des Erfolgskonzepts der Gruppe Jet Set, vor allem in den ersten Jahren. Oft haben sie das Verteilen von Geld nur vorgespielt und nach der Show von ihren Freunden wieder zurückbekommen. Douk Saga soll bei Auftritten häufig die doppelte Gage verlangt haben, um auf der Bühne die Hälfte davon verteilen zu können. Doch auch die Leute, die davon wussten, war es nicht wichtig den Bluff auffliegen zu lassen. Denn solange der Champagner floss, die Designerklamotten echt waren und die Scheine, die beim Travailler verteilt wurden, keine Blüten waren - solange wurde die Musik und ihre Aufführung als gutes Entertainment wahrgenommen. Es ging auch gar nicht darum, in Erfahrung zu bringen wie viel Geld die Künstler wirklich auf den Konten hatten oder was sie wirklich besaßen. Die Jet Sets waren so populär, weil sie exemplarisch für das Good Life standen, das anscheinend eben doch möglich war.

Travailler – Arbeit im doppeltem Sinne

Der letzte und entscheidende Schritt im Coupé Décalé ist das Travailler - auch Travaillement genannt. Hier wird die öffentliche finanzielle Potenz durch das demonstrative Verteilen von Geld in soziale Kompetenz umgewandelt. Das Travaillement ist aber nicht ironisch zu verstehen, sondern wird wirklich als harte Arbeit empfunden. Hier stellt sich heraus, ob sich die ganzen Strapazen auf dem Weg nach Paris und wieder zurück gelohnt haben. Beim Travailler wird auf zweierlei Arten gearbeitet: Einmal steckt die Aneignung des ganzen Know-hows über den modernen Konsum, sowie die Beschaffung der teueren Designermode und Luxusartikel dahinter. In diesem Zusammenhang wird auch von „Travailler son apparance“, gesprochen. Es knüpft an die Sapeure aus dem Kongo an, die sich über den teuren Schick ihre eigene Welt von Werten und ein eigenes Rang-System unabhängig vom Rest der Gesellschaft erschaffen haben. Bei ihnen wird unter Travailler auch das zeitintensive „sich-schick-machen“ für den ersehnten Tanzabend nach der Rückkehr aus Paris verstanden.

Travailler wird auch deshalb Arbeit genannt, weil das Tragen und Herumwerfen von Geldscheinen wirklich als physische Betätigung gesehen wird. "Travailler sur qn" meint also kofferweise Banknoten der lokalen Währung CFA auf Jemand anderem abladen. Bei traditionellen Familienfesten und Hochzeiten in Nigeria wird auch vom 'spaying money' gesprochen, wenn Musiker oft mit tausenden Euros überschüttet werden.

Das Travailler lässt sich aber auch als soziale Arbeit verstehen: zu wissen, wen man wann und wie bearbeiten muss, damit der soziale Aufstieg legitimiert wird und parallel potentielle Neider aus dem Weg geschafft werden. Es geht also darum, seiner gesellschaftlichen Pflicht und Solidarität nachzukommen und beispielsweise die oft kollektiv ermöglichten Reisekosten für den Trip nach Europa zurückzuerstatten.

Travailler lässt sich auch im Bezug auf Hexerei untersuchen: Auch wenn sie nicht direkt ein Thema in der Musik selbst ist, spielt sie in der Gesellschaft in der Côte d'Ivoire weiterhin eine große Rolle. So kann der neureiche Aufsteiger, der sich nicht solidarisch zu seinen Freunden und Verwandten verhält, das Ziel von Hexerei werden. Douk Saga selbst beschuldigte vor seinem frühen Tod im Herbst 2006 einen Freund von ihm verhext worden zu sein.

Überdimensionale Geldgeschenke und demonstrative Großzügigkeit können als effektive Mittel gesehen werden, Neidern - in Afrika immer auch potentiellen Hexern - zuvorzukommen und zusätzlich individuellen Luxus-Konsum vor der eigenen Gemeinschaft zu rechtfertigen. Ein berühmtes Sprichwort der Akan besagt: „If you do not allow your neighbor to have nine, you will not have ten“. Eine Konsequenz aus einer solchen Argumentation ist allerdings, dass es sich nur bedingt lohnt einem regulären Job nachzugehen. Wenn man sich einfach auf die faule Haut legen würde, könnte man sich auf die “Bringschuld” seines Nachbarns verlassen… Zusätzlich würde das die Attrativität erklären, sich über das Couper heimlich Geld zu beschaffen. Das Bild einer Gesellschaft, in der Eigentum geteilt werden muss und Arbeit als unsinnig erscheint, wird im Coupé Décalé reproduziert und Douk Saga wusste es, diese Stereotypen geschickt für sich zu nutzen. Er stellte die ivorische Gesellschaft als neiderfüllt dar, die niemandem den individuellen Erfolg gönnen würde. Über das öffentliche Verteilen von Geld stilisierte er sich selbst zur Ausnahme und Retter in der Not. Mit Sprüchen wie: „L'ennemi de l'homme c'est l'homme“ oder „Les gens n'aiment pas les gens, mais ils aiment l'argent des gens“ hat er aus seiner Taktik kein Geheimnis gemacht. Auch der Titel seines Albums verdeutlicht diese Schwarzweißmalerei: „Héros National Bouchee-bée“ („Volkshelden offene Münder“).

Si tu aimes la Jet Set applaudi!”

Was war aus dem Koffer voller Geld geworden, der Douk Saga bei dem Stromausfall im Club de la Culture in Abidjan abhanden gekommen war? Die Frage konnte auch mir keiner beantworten. Dennoch lassen sich drei denkbare Szenarien durchspielen:

Douk Saga wurde der Koffer mit dem Geld wirklich geklaut, wobei es sich dabei nicht zwingend auch um einen Diebstahl gehandelt haben muss, sondern vielleicht um die “goldene Schere” des Couper, die der Gesellschaft das zurück gab, was ihr zustand.

Oder aber es war die Hexerei die hier interveniert hat. Plausibler aber klingt die dritte mögliche Erklärung: In dem Koffer war gar kein Geld und er ist auch nicht abhanden gekommen. Der Diebstahl und der Stromausfall waren nur Bluff und Teil der Show. Und die war ein voller Erfolg, denn die Geschichte war tagelang Stadtgespräch in Abidjan. Somit hat sich ihr Hauptdarsteller seinen Applaus verdient.








































































Douk Saga: „Saga en Fête“, Abidjan 2003


































Solo Béton Album Cover






Afrikanische Vorherrschaft: Selbst der Vater des kongolesischen Rumba's macht heute Coupé-Décalé







Live-Auftritt der Gruppe Jet Set in der Fernsehshow “Tempo” des nationalen Fernsehsenders der Côte d'Ivoire RTI











DOUK SAGA Album Cover


















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